Neue Zürcher
Zeitung vom 7. Januar 2003, von Jürg
Wick
- Die Ford Motor Company wird 100
Jahre alt
Ford, das grösste
Familienunternehmen der Welt zelebriert das
hundertjährige Bestehen. Henry Ford war 40 Jahre alt,
als er 1903 mit der Gründung der Ford Motor Company die
Voraussetzungen dazu schaffte, ein Grossindustrieller zu
werden. Der Sohn ausgewanderter Iren war kein Automann,
sondern Tüftler und Konstrukteur mit Hang zum
missionarischen Eifer. Viele nannten ihn stur, andere
wollten ihn ins weisse Haus drängen. Henrys Verdienst
war nicht in erster Linie die Erfindung des Fliessbandes.
Dies ergab sich eher zufällig, schrittweise,
gezwungenermassen. Die Pioniertat war das T-Modell, das
erste Auto, welches sich nicht an den Bedürfnissen der
Begüterten orientierte, sondern die ländliche
Bevölkerung motorisieren sollte. Die robuste, simple
"Tin Lizzie" überzeugte selbst gut Situierte. Dass ein
Auto so problemlos funktionierte wie das elektrische Licht,
war neu. Der Millionenseller ermöglichte es dem hageren
Mann schliesslich, seine soziale Ader auszuleben.
Achtstundentag und weit überdurchschnittliche
Löhne für die Fabrikarbeiter brachten die
Konkurrenz in Verlegenheit.
Marktanteil von 50 Prozent
1924 lief der elfmillionste Ford vom Band, die
Jahresproduktion erreichte 1.75 Millionen Autos, Der
Marktanteil von Ford in den USA betrug 50 Prozent, und der
Verkaufspreis des T-Runabout wurde erneut gesenkt, diesmal
von 390 auf 295 Dollar. Der Durchschnittslohn eines
Ford-Arbeiters lag bei 1293 Dollar im Jahr, und die Firma
erntete einen Rekordprofit von 100 Millionen.
Sohn Edsel hatte es unter dem Patriarchen schwer, und selbst
als er 1919 die Leitung der Ford Motor Company offiziell
übernommen hatte, spielte nicht er die erste Geige.
Doch er verantwortete einige der schönsten
Personenwagen der Vorkriegszeit. Als Edsel 1943
50-jährig starb, übernahm der Alte erneut das
Zepter der Firma, auch offiziell. Die Leitung des riesigen,
aber inzwischen nicht mehr grössten Autounternehmen der
Welt blieb nach dem Tod von Henry Ford 1947 in Familienhand.
Henry Ford II, der Enkel des Firmengründers, musste
1945 mit 28 Jahren die Navy verlassen und das Steuer
übernehmen. Ein wacher Mensch, vielleicht nicht
besonders gebildet, aber risikofreudig, entschlossen, sogar
visionär. Geschichtsreif sein Engagement für die
Wiederbelebung von Central Detroit in den siebziger
Jahren.
Thunderbird und Mustang
Mit der Rekrutierung der sogenannten "Whiz Kids", einer
Ansammlung besonders intelligenter Manager, gelang es Henry
II, das vor dem Krieg ramponierte Schiff wieder auf Kurz zu
bringen und zur soliden Nummer zwei zu machen. er segnete
nicht bloss die später gescheiterte Marke Edsel ab,
sondern auch den heute legendären Thunderbird und den
mehr als erfolgreichen Mustang. Mit der Gründung von
Ford of Europe 1968 bündelte der erklärte Freund
Europas vormals verzettelte Kräfte, forcierte (als
Amerikaner!) das Kleinwagenprojekt Fiesta und ist
mitverantwortlich, dass Spanien zum drittgrössten
Autoherstellerland in Europa avancierte.
1984 stieg Ford zum meistverkauften Label in Europa auf.
Dass es nicht dabei blieb, hat nur auf den ersten Blick
nichts mit seinem Ableben 1987 zu tun; Mr Ford trat 1982 als
Chairman zurück. Zum ersten Mal kam mit Philip Caldwell
kein Ford an die Spitze des weltweit grössten
Familienunternehmens, das nach dem Tod von Henry Ford II nun
auch im Board von keinem Ford mehr kontrolliert wurde. Die
strebsamen Erbsenzähler gewannen Oberhand. In der Ford
Motor Company bekommt jeder seine Chance. "Kommen Sie
fordwärts", stand es lange Zeit schwarz auf weiss auch
in den Stelleninseraten von Ford Switzerland.
Karrierebewusste hatten diesen Spruch imaginär im
übertragenen Sinne schon immer und nicht selten auf
Kosten der Firma interpretiert sowie für internes
Kompetenz - und Karrieregerangel genutzt. Zu viele der in
den Hochzeiten der eigenen Fertigungstiefe
beschäftigten 380'000 Mitarbeiter fühlten sich
für höhere Weihen berufen, nach dem Ausscheiden
von Henry Ford II verstärkt. Ruhe beim Multi kehrte vor
Jahresfrist ein, als mit William Clay Ford ein Urenkel des
Firmengründers an die Spitze des Unternehmens berufen
wurde. Die Familienangehörigen kontrollieren immer noch
40 Prozent der Stimmrechtsaktien. Von Bill, dessen
Karriereschritte Ende der achtziger Jahre durch Schweiz
führten und dem der Ruf vorauseilt, eine "grüne
Ader" zu haben, wird erwartet, die in den Staaten profitable
Modellstrategie mit Benzin in rauen Mengen konsumierenden
Autos in Kyoto-kompatible Bahnen zu lenken. Kein leichtes
Unterfangen in einer von Image bestimmten Welt. Denn die
richtig guten Autos von Ford waren nicht unbedingt die
Erfolgreichsten, oder umgekehrt.
Erfolge im Motorsport
Über jeden Zweifel erhaben der von 1908 bis 1927
produzierte "T", auch der 1932 vorgestellte "V8". Schon 1929
sehr nützlich: Das Modell A als erster
massengefertigter Station Wagon. Den Zeitgeist gut treffend
der "49er", nachdem der Company nur noch wenig
Überlebenschancen eingeräumt wurden. Ab 1955 ein
langlebiger Hit mit variierenden Missionen: der Thunderbird.
1964 der Überflieger Mustang, dazwischen der knapp,
aber präzise am Kundengeschmack vorbei positionierte
Edsel. Nach dem zweiten Weltkrieg durften die
europäischen Ableger in Dagenham und Köln vermehrt
eigene Wege gehen. Die Engländer brachten mit dem
Consul/Zephir ein mässig erfolgreiches, aber
interessantes Produkt hervor; Die ab 1950 verbaute
McPherson-Vorderradaufhängung ist bis heute
Industriestandard. Der Ford 17M von 1961 ("Badewanne")
revolutionierte das Autostyling und war ein Riesenerfolg.
Weniger der 20M V6 Turnier von 1964, so was nennt man jetzt
Lifestyle Kombi, damals war er der Zeit in Europa zu weit
voraus. Vorher schon hatte sich die FoMoCo unter Henry Ford
II der Strategie "Total Performance" verschrieben und
heimste motorsportlich alle relevanten Titel ein,
Formel-1-WM und Indianapolis. Der Multi dachte auch daran,
Ferrari zu kaufen; nachdem das Ansinnen gescheitert war,
siegte Ford in Le Mans mit einem eigenen Produkt, dem GT 40,
viermal hintereinander. In den achtziger Jahren bog ein
Pick-up auf die Spur des Verkaufserfolges ein und ist
seither Jahr für Jahr das meistverkaufte Automobil auf
der Welt, der F150, ein Gasolinesüchtiger, wie es auch
die kaum weniger populären Geländegänger
Explorer und Expedition sind.
1984 stellten die Europäer den
ersten schnelllaufenden direkteingespritzten Dieselmotor im
Transit vor und damit den Wegbereiter für die heutige
Dieseleuphorie. 1986 läutete der Taurus in den Staaten
endlich das Aerostyling ein, wurde dort zum meistverkauften
Personenwagen. Kurz zuvor lancierte Ford Europa unter der
Führung von Bob Lutz den vielleicht bis anhin besten
Ford, den Scorpio. Serienmässig mit ABS, hervorragendem
Fahrwerk, seither nie wieder gesehener Raumeffizienz, Auto
des Jahres 1985, vorerst mit einigen qualitativen
Mängeln behaftet. Konzern-dominierende Finanzleute
hinderten den Amerika-Schweizer daran, dem Granada
Nachfolger neue Motoren zu spendieren und rechtzeitig eine
Kombiversion zu entwickeln. So ging der Scorpio nach dem
Edsel als zweiter gigantischer Flop in die Ford-Geschichte
ein, denn zu allem Übel hatte man dem Scorpio mit einem
Restyling noch die Vorreiterrolle für eine neue
Designrichtung angedacht: New Edge. Kantige Rundungen oder
runde Ecken, je nach Betrachtungsweise, Hauptsache, nicht
mehr seifig rundgelutscht-inzwischen weitestgehend
Allgemeingut in der Branche.

Ford's River Rouge by Joseph Cabadas
ISBN 0-7603-1708-9
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